2.18.2011

Multikulturalismus, Diversität und Gleichheit

Es wurde bereits viel gesagt über David Camarons [1] kürzlich gehaltene Rede über das Versagen des Multikulturalismus. Es war vorhersehbar, dass die Linke die Rede verdammt und die multikulturelle Gesellschaft verteidigt. Doch ärgerlicherweise gibt es einen Unterschied zwischen dem Leben in einer Gesellschaft mit verschiedenen Kulturen und dem Konzept des Multikulturalismus.

In den Jahren der New Labour Regierung [2] förderte man den Multikulturalismus, neben den beiden Ideen von Gleichheit und Diversität. Natürlich war dies Teil des New Labour Mantras „alle sind Mittelklasse“, die nie jemand glaubte, besonders nicht die ArbeiterInnenklasse. Die Idee der Klasse wurde unter dem Banner von Multikulturalismus und Verschiedenheit subsumiert. Die Industrie sprang sofort auf den Zug auf und veranstaltete Kurse mit den Themen „Gleichheit und Diversität“ mit den Schwerpunkten Rasse, Sexualität, Behinderung und sogar Religion - doch den Begriff der Klasse klammerte sie aus. Das überrascht kaum, denn wir leben in einem ökonomischen System das auf Ungleichheit und Klassenwidersprüchen basiert. Wäre der Begriff der Klasse ein Teil der Veranstaltungen gewesen, hätten sie die bestehenden gesellschaftlichen Ungleichheiten in Frage gestellt und somit unangenehme Fragen aufgeworfen.

In der Zwischenzeit ereignete sich 9/11, die Invasion in Afghanistan und dann der Irak Krieg, und die Labour Partei begriff, dass sie sich nicht länger auf die Stimmen der muslimischen Bevölkerung verlassen kann. Linke Gruppierungen versuchten diese Lücke zu füllen und es entstand eine befremdliche Zusammenarbeit zwischen AtheistInnen, marxistischen Parteien und muslimischen Gruppen. Der tränenreiche Zusammenbruch dieses Bundes war vorhersehbar und so geschah es auch. Doch eine Folge dieses Zusammenschlusses war, dass die antirassistische und die anti-Kriegs Bewegung von Beginn an Kompromisse mit Leuten einging, die überhaupt kein Verständnis für die Idee von Gleichheit besitzen. Das gilt insbesondere in der Frage der beiden Geschlechter und Sexualität.

Die liberale und marxistische Linke begann diejenigen, die Fragen über andere Kulturen hatten, auszuschließen. Eine multikulturelle Gesellschaft war erwünscht, aber nur eine solche, in der jede Kultur vorbehaltlos respektiert wurde; jede Kritik wurde als Eurozentrismus abgetan. Die Labour Regierung schloss Religionen in ihr Diversitäts- und Gleichheits-Mantra mit ein, um dadurch Wählerstimmen zurückzugewinnen. Diese neue Orthodoxie argumentierte für die Akzeptanz der Gleichheit aller Kulturen und Lebensstile und gegen jeden unabhängigen und universellen Standpunkt, der in der Lage ist die Ansprüche der einzelnen Kulturen zusammenzufassen. Verschiedene Menschen und Kulturen haben verschiedene Werte, Glauben und Wahrheiten, von denen jede als legitim zu betrachten sei. Doch dieser Versuch war von Anfang an mit Makeln behaftet. Wenn es wahr ist, dass jede Perspektivierung aus partikularen Ansichten und deren historische Praxis zusammengesetzt ist, dann muss dies für den multikulturalistischen Versuch ebenso gültig sein.

Jede Kultur und jeder Lebensstil soll mit dem gleichen Respekt behandelt werden, so wird argumentiert. Aber wie soll das funktionieren? Um alle mit dem gleichen Respekt zu behandeln müssen wir die einen mit den anderen vergleichen. Der Idee des Multikulturalismus nach hieße das, unseren Standpunkt auszuschließen. Das Prinzip der Verschiedenheit ist nicht in der Lage, Standards zu vermitteln, die uns dazu nötigen die Verschiedenheit des anderen zu respektieren. Auf welcher Grundlage können wir ihren Respekt und sie unseren verlangen? Es ist sehr schwer gegenüber Unterschieden respektvoll zu sein, ohne dabei Prinzipien der Gleichheit oder der sozialen Gerechtigkeit anzusprechen.

Die Idee der Gleichheit rührt von dem Umstand her, das Menschen politische Wesen sind. Als solche besitzen wir die Fähigkeit verschiedene Kulturen zu erschaffen; das bedeutet aber nicht, dass alle Kulturen gleich sind. Wenn die Idee der Gleichheit aller Menschen durch die Idee der Gleichheit aller Kulturen ersetzt wird, schließt das die Möglichkeit sozialer Gleichheit völlig aus. Es ist eine entscheidende Fähigkeit der menschlichen Entwicklung, dass wir soziale, moralische und technischen Fortschritt zustande bringen, Ideen erschaffen, die nicht einfach nur unterschiedlich, sondern manchmal einfach besser sind (manchmal auch schlechter), als die vorangegangener Generationen oder anderer Kulturen.

Die Anhänger des Multikulturalismus nötigen uns jede Absicht auf Veränderung und Entwicklung zu ignorieren und sie stattdessen durch die Notwendigkeit des Respekts für andere Kulturen zu ersetzen, unabhängig welcher, so dass die von ihnen vertretenen Traditionen gestärkt und nicht kritisiert werden. Warum sollte ich Kulturen respektieren, deren Ansichten meiner Auffassung nach reaktionär und manchmal sogar verachtenswert sind? Warum sollte man sich mit rückständigen, frauenfeindlichen und homophoben Positionen bestimmter Religionen arrangieren? Warum sollen wir nicht nach vorne sehen, in eine Zeit wenn diese Kulturen verschwunden sein werden, genau wie wir uns danach sehnen, dass kapitalistische, faschistische und autoritäre Gesellschaften endlich der Vergangenheit angehören. Wie kann ich sie respektieren ohne dabei meine eigenen Standpunkte zu diskreditieren?

Verschiedenheit an sich, ist nicht automatisch gut. Es ist notwendig, denn es versetzt uns in die Lage verschiedenen Werte, Glauben oder Lebensweisen zu vergleichen und darüber zu entscheiden was besser oder schlechter ist. Es erlaubt uns in den politischen Dialog einzutreten und für einen universellen Wertekanon zu argumentieren, durch den Freiheit und Gleichheit erblüht und der gleichzeitig verschiedene Lebensweisen beinhaltet, die sich nicht notwendigerweise widersprechen. Das Versagen des Multikulturalismus besteht darin, dass er Dialoge und Diskussionen verhindert und außerdem die Beurteilung bestimmter Werte im Namen von „Toleranz“ und „Respekt“ erschwert. Durch ihn werden nicht die Vorteile kultureller Diversität gestärkt, sondern die Menschen werden ermutigt intolerante Positionen noch hartnäckiger zu verteidigen.

Das bringt uns notwendigerweise zu dem unumstößlichen Fakt, den die VertreterInnen der Gleichheit und Diversität geflissentlich nicht erwähnen: wir leben in einer kapitalistischen Gesellschaft, die ganz natürlich auf Ungleichheit aufgebaut und abhängig ist. Ökonomische Gleichheit ist offenbar nicht relevant und wird nicht in Frage gestellt. Klasse wird ignoriert, während alle dazu ermutigt werden die Interessen ihrer eigenen Gruppe zu vertreten, sei es der ethnische Zugehörigkeit, der sexuelle Orientierung oder was auch immer. Camarons Angriff auf den

Multikulturalismus muss als ein zynischer Versuch verstanden werden, die Unterstützung der rassistischen Rechten zurückzugewinnen um dadurch die Kürzungen und das von der Tory Regierung angerichtete ökonomische Chaos zu stärken. Es ist das alte „Teile und Herrsche“ das ausgespielt wird, das auch in der Vergangenheit funktionierte und das nun aufgrund der multikulturalistischen Besessenheit der Liberalen und Linken erneut funktioniert. New Labour hatte versucht eine neue Art „britischer Identität“ zu etablieren; die Tories versuchen nun ihre eigene, chauvinistische Version davon. Dabei ignorieren sie, dass wir schon immer verschiedene Kulturen in diesem Land beherbergten. Die aristokratische und die Mittelklasse präferieren verschiedene Lösungswege und die wiederum unterschieden sich gänzlich von den Erfahrungen der Arbeiterklasse. Kulturen entwickeln und verändern sich unter dem Druck verschiedener Einflüsse. Die multikulturelle Gesellschaft ist eine willkommene Wirklichkeit; Multikulturalismus dagegen ist eine abstrakte Idee, die nicht funktioniert, da sie die politische und soziale Wirklichkeit ignoriert.

Diversität bedeutet einerseits die Wahrnehmung unserer Verschiedenheit, zugleich aber auch der Gemeinsamkeiten. Wir dürfen die Vorstellungen des Staates von Diversität, der Bastardisierung von Gleichheit und das erneute Verhandeln um die Idee einer britischen Identität nicht übernehmen. Die Arbeiterklasse, unabhängig des kulturellen Hintergrunds, teilt die gleichen Probleme genauso wie die Diskriminierung entlang der Grenzen von Ethnizität, Geschlecht, Behinderung und sexueller Orientierung.


Anmerkungen:

[1] David Camaron: Parteivorsitzender der konservativen Tory Partei, seit dem 11. Mai 2010 britischer Premierminister.

[2] New Labour: Moderne Parteidoktrin der Labour Partei seit der Amtszeit Tony Blairs.



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